ALV International #5: Uli und Erich auf Hawaii.

Erlebnisbericht von Triathlet Erich Keuchen über einen Wettkampf auf einer Insel im Pazifik am anderen Ende der Welt. Als das laute Vogelgeschrei uns am ersten Morgen endgültig aus der

kurzen Nacht wach werden ließ, waren die Strapazen der nicht enden wollenden Flugreise vergessen.

Kona erwachte und zog uns von nun an in seinen mystischen Bann. Wir waren mit viel Respekt und Demut angereist und das sollte schon in den nächsten Tagen beim Training seine Berechtigung finden. Am ersten Tag wollten wir das rege Treiben am Pier beobachten und eine

erste Schwimmeinheit im Pazifik wagen. Dabei mussten wir gleich erleben, dass die Natur dort so manche Überraschung für einen bereithält. Die Wellen waren so hoch, dass ein Kraulschwimmen für mich fast nicht möglich war. Die erste Drohgebärde der Insel hatte gewirkt, die Anspannung steigt. Die ersten leckeren Konakaffees auf einer der vielen hölzernen Verandas konnten die Stimmung wieder erhellen.

Am nächsten Tag stand noch ein 20 km Lauf an, der hohen Luftfeuchtigkeit und Hitze geschuldet, meine Pulswerte auf Wettkampfniveau steigen ließ. Ab jetzt schwirrte in meinem Kopf nur noch eine Frage. Wie um Himmels Willen soll man hier einen Marathon laufen? Und erst recht nach 180 km Rad. Ich hoffte Uli hätte eine logische Antwort für mich, aber sie hatte bei ihren kurzen Trainingseinheiten schon jetzt den größten Respekt vor jedem Athleten der hier an den Start geht.

Die Zahl der vermeintlichen Helden wuchs nun von Tag zu Tag, und das Gewusel von Schwimmenden, Rad fahrenden und den Alii Drive rauf und runter rennenden Sportlern nahm weiter zu. Die waren alle so austrainiert, dass Uli schon anmerkte, die sehen aus als würden die alle das Ding gewinnen. Meine Anspannung steigt weiter. Morgen geht’s aufs Rad, da werden meine Stärken ausgespielt. Uli fährt nach Hawi mit dem Leihwagen und ich brenn mal kurz die erste Streckenhälfte ab. Nach einer halben Stunde mit Rückenwind und 50 km/h auf dem Highway hatte ich noch das Grinsen im Gesicht und dachte bis Uli dort ankommt, hab ich schon zwei Kaffee getrunken. Dann kamen schlagartig die so oft erwähnten Crosswinde aus dem Landesinneren. Abgesehen davon, dass ich Mühe hatte 20 km/h zu halten, war es jetzt unmöglich im Lenker zu fahren ohne die Straße zu verlassen. Ich hatte noch nie so eine Angst auf dem Rad. Der einzige Vorteil war, dass ich mir keine Gedanken mehr über den Marathon machen musste, da ich den Radsplitt eh nicht überlebe. Völlig mit den Nerven am Ende war ich froh in Hawi angekommen zu sein. Uli war mächtig stolz auf mich; der Wind hätte sie samt Auto fast von der Straße gefegt. Die Anspannung erreicht gerade seinen Höhepunkt.

Jetzt heißt es die Zeit bis zum Wettkampf genießen. Ein paar kleine Einheiten noch und den einen oder anderen Tipp von den Profis einholen. Ausruhen und die Kräfte bündeln ist nun angesagt. Ich versuche die letzten Tage vor dem Start, dank

Ulis beruhigenden und aufmunternden Zuspruch, zu genießen. Beim Einchecken der Räder am Vortag erreicht die Spannung seinen Höhepunkt. Ein riesiges Specktakel mit

Medienrummel und etlichen Zuschauern, bringt einen fast um den Verstand. Habe ich alle Beutel, ist alles drin, wo steht mein Rad noch mal, wie laufe ich durch die Wechselzone, in welches Zelt muss ich zum Umziehen und hängen meine Beutel auch richtig? Fragen über Fragen die einem die vielen wirklich super netten Volunteers beantworten. Abends dann ein letztes Carboloading auf der Pastaparty und noch mal den Sonnenuntergang genießen. Ich mache noch ein paar Entspannungsübungen auf dem Balkon unseren Zimmers und lasse ein Trainingsjahr mit vielen Entbehrungen und neuen Wegen, die ich gegangen bin in Gedanken an mir vorbei ziehen. Meine Hausaufgaben habe ich gemacht, ich bin Gesund und jetzt will ich es einfach nur noch rauslassen. Ich möchte mich für all das jetzt belohnen und ich merke plötzlich wie meine Anspannung verschwindet.

Die Nacht war kurz, aber ich habe gut geschlafen. Uli hilft mir, meinen am Morgen meistens zerstreuten Kopf, zusammen zu halten. So, ab zum Pier jetzt, wo schon hunderte Athleten vor sich hinwuseln und für das Bodymarking anstehen. Es heißt jetzt Abschied nehmen von Uli, denn ab hier sind die Teilnehmer auf sich allein gestellt. Ich sehne mich jetzt schon auf ein Wiedersehen an der Strecke und ihre aufmunternden Worte. Schnell noch mal alles checken und ab ins Wasser in den Vorstartbereich, wo die Profis schon vor 20 Minuten losgelassen wurden. Ich schwimme mit 2000 Triathleten auf der Stelle und realisiere, dass es kein Traum mehr ist. Wahnsinn- du bist tatsächlich dabei, beim bedeutendsten Triathlon der Welt und will, dass es einfach nur noch losgeht. Die Kanone zerschmettert die gespenstige Ruhe und das

Wasser scheint zu kochen. Ich finde von Anfang an einen guten Rhythmus und bin überraschend gelöst. Ja, das Schwimmen im Pazifik hat fast Spaß gemacht, und so kam ich gleichermaßen überrascht und happy nach 1:19 Stunden aus dem Wasser.

Geflasht von den ganzen Eindrücken und eigenen Emotionen eiere ich durch die lange Wechselzone und versuche derweil die Sonnencreme abzustreifen, mit der mich die eifrigen Volunteers eingekleistert haben. Wenige hundert Meter nach dem Radaufstieg sah ich Uli, die mich sichtlich begeistert, lautstark anfeuert. Das Adrenalin kommt einem jetzt förmlich aus den Ohren raus und die große Aufholjagd beginnt. Nach der ersten Wende auf dem Kuakini Highway geht es nach der schnellen Abfahrt nun rechts die Palani Road hoch, wo ich Uli wiedersehe. Ich hämmer den steilen Anstieg hoch und stelle oben fest, dass wenn ich so weiter mache, ich noch nicht mal den Wendepunkt in Hawi sehe. Ich biege auf den Queen K` Highway und schalte ab jetzt meinen sonst so verlässlichen Wettkampfverstand wieder ein. Von jetzt an wird meine Pulsuhr wieder zu meinem verlässlichen Regulativ.

Ich spüre auch heute die Winde, aber sie erscheinen mir lange nicht so schlimm als Tage vorher. Erleichterung über die besseren Bedingungen macht sich breit und voller Freude und Emotionen beobachte ich die mir entgegenkommenden Profis, als ich beginne den langen aber seichten Anstieg nach Hawi hoch zu fahren. Nach der Wende volle Konzentration auf den schnellen Passagen. Bloß keinen Sturz riskieren, das wäre eine Katastrophe. Die Hitze wird hier immer stärker und ich nutze jede Ad Station, um mich mit Wasser zu kühlen. Gar nicht so einfach bei voller Fahrt die Flaschen der anreichenden Helfer zu erwischen. Langsam wird die Fahrt zäh und ich bin froh den Flughafen zu sehen, der mir die baldige Ankunft in Kona andeutet. Zwei Cliffbar Riegel und eine halbe Banane reichten mir auf der Radstrecke, um nach 5:20 Stunden und vielen überholten Athleten erleichtert die Wechselzone zu erreichen.

Auch jetzt wieder tolle Unterstützung der Helfer und mit gesteigerter Routine fege ich nun

durch das Wechselzelt und dann auf die Marathonstrecke. Die Beine fühlen sich gut an und ich bin gespannt, wo ich Uli sehen werde. Nach 1,5 Kilometern stehen mein Rhythmus und mein Zielpuls. Freudig sehe ich auf Höhe des „Lava Java“ Uli beim Fotografieren - hoffentlich sehe ich gut aus :)

Jetzt hält mich keiner mehr auf und ich laufe, kühle, überschütte und trinke den Alii Drive rauf und runter, bevor ich nach 15 Kilometern Uli ein letztes mal sehe und mir einen Kuss abhole. Jetzt die Palani hoch und ich bin begeistert keine Krämpfe zu haben. Doch der lange Weg auf dem Highway bis zum Energy Lab lässt erahnen wie lang der Rückweg noch werden wird. Eine erste kleine Krise verfliegt als ich bergab ins Lab Richtung Küste und folgender Wende laufe.

Zurück zum Highway berghoch wird es schwer und ich giere auf meine erste Cola, die ich ab

Kilometer 31 trinken will. Doch dies erweist sich postwendend als Fehler. Der Kohlensäure geschuldet, zwingen mich starke Seitenstiche zum Gehen. Als ich trotz Atemtechnik immer wieder gehen muss, bekomme ich langsam Panik. Wenn ich das nicht in den Griff bekomme, dann werden das die längsten 10 Kilometer meines Lebens. Es wird langsam besser und ich kann ab Kilometer 34 wieder flüssig laufen. Mein inneres Lächeln kommt zurück und ich weiß, dass wenn ich die Palani Road wieder erreiche das Rennen gelaufen ist. Hundert mal habe ich mir vorgestellt wie es ist die Palani runter zu laufen und zu wissen jetzt kann es dir keiner mehr

nehmen. Hol` dir deinen Lohn jetzt ab denke ich, als ich den Abzweig kommen sehe und meine ersten Tränen wegdrücke. Von nun an denke ich nur noch an den Zieleinlauf und Uli endlich in die Arme nehmen zu dürfen. Die letzten Meter durch Kona sind Emotion pur und die Endorphine schießen nur so durch meinen Körper als ich Uli kurz vor dem Zieltunnel erblicke. Ein letzter Kuss und der Hinweis mir meine Belohnung abzuholen lässt mich fast verrückt werden. Ich höre schon die markante Stimme von Mike Reily und der Teppich unter meinen Füßen trägt mich von alleine ins Ziel. Ich sehe in großen digitalen Zahlen 10:27 auf der Zieluhr, und auch für mich heißt es nun “Erich Keuchen - you are an Ironman“. Ich sehe Uli und will nur noch in ihre Arme.

Mein Kopf ist leer und meinen Körper spüre ich nicht mehr. Ich funktioniere nur noch emotional und kann meine Tränen nun nicht mehr zurückhalten. Mein Traum ist wahr geworden und ich durfte mir den sportlichen Ritterschlag hier abholen. Diesen Moment kann mir keiner mehr nehmen, er ist wie in mein Herz gebrannt.

 

Danke an alle, die mich dabei unterstützt und an mich geglaubt haben. Das Daumen drücken, Anfeuern und die vielen Glückwünsche auf Facebook, E-mail, SMS oder persönlicher Natur, haben mir Flügel verliehen. Das war der reine Wahnsinn!!!